Dass es im 17. und 18. Jahrhundert eine Doppelmonarchie zwischen Sachsen und Polen gab, hat der ein oder andere sicherlich schon einmal gehört. Wie aber das Musikleben im Einzelnen aussah, wurde bisher nur in Ansätzen erforscht und somit ist die sog. pohlnische Capelle am damaligen Warschauer Hof auch ein weithin unbekanntes Phänomen. Seit dem Jahr 2014 haben sich unter der Trägerschaft von circumArte das Michaelis Consort zusammen mit dem polnischen Ensemble Musicarius auf gemeinsame Spurensuche begeben, um in historischer Forschung, praktischer Aneignung und künstlerischer Aufführungspraxis die pohlnische Capelle wiederzubeleben. Unsere internationale Zusammenarbeit knüpft dabei an zeitgenössisch virulente Fragen der Identitätsstiftung an und schlägt bewusst den Bogen in die Gegenwart. Die Neue pohlnische Capelle bündelt zahlreiche Teilprojekte und Aktivitäten im Veranstaltungs- und Vermittlungsbereich. Eine App zum Projekt informiert aktuell und interaktiv über alle Konzerte und Teilprojekte. Diese kann hier geladen werden.
Zur Situation im 18. Jahrhundert
In der Zeit zwischen 1697 und 1763, als der sächsische König gleichzeitig die
Krone Polens trug, war die pohlnische Capelle als Warschauer Hofkapelle von
August II und August III beschäftigt. Das Orchester wurde nach dem Vorbild der
damals weltberühmten Dresdner Hofkapelle aufgestellt und hatte zeit seiner
Existenz verschiedene Aufträge: die musikalische Unterhaltung bei Hofe, Verstärkung
der Dresdner Hofkapelle bei besonderen Anlässen und Begleitung des Königs auf
seinen Reisen.
So existierte natürlich zwischen den beiden Kapellen des Königs von Sachsen und
Polen ein reger Austausch: Man hielt stets mit der neuesten musikalischen Mode
Europas mit; der König lud die besten Solisten ein und gestattete der Kapelle
vergleichsweise viele stilistische Experimente. So entstand ein internationales
Orchester mit Musikern und Kapellmeistern aus vielen Ländern Europas – ein
Phänomen, das im aktuellen Projekt der Neuen pohlnischen Capelle aufgegriffen
wird. Die sich im 18. Jahrhundert neu entwickelnde Musik, welche die Stile
Italiens, Frankreichs und Deutschlands kombinierte, wurde als sogenannter
„vermischter Geschmack“ berühmt.
Auch in politischer Hinsicht war die pohlnische Capelle ein wichtiges
Verbindungsstück: Kunst wurde zum Brückenbauer zwischen den beiden so
unterschiedlich geprägten Gebieten Polen und Sachsen. Die Kapelle war
Botschafterin des Königs, seiner Weltgewandtheit und seiner Kunstliebe. Sie
wurde aber auch vielen Künstlern des Königreiches zur Heimat: Hier fanden sie
die Freiheit, um sich künstlerisch zu verwirklichen.
Musik als Integrationsmedium im 21. Jahrhundert
Ebendiese Idee einer Kunst, die geographische und kulturelle Grenzen überschreitet, lebt auch in unserer Gegenwart fort. So begreifen wir Musik als Träger integrativer Botschaften in der Neuen pohlnischen Capelle: Sie kann eine Brücke zwischen unserer gemeinsamen Vergangenheit und einer möglichen gemeinsamen Zukunft schlagen. Wenige Themengebiete bieten so zahlreiche Anknüpfungspunkte, um gemeinsam Ideen der transnationalen Kooperation zu teilen. Das Repertoire des vergessenen Ensembles mit seinem wunderbaren Facettenreichtum lohnt sich dafür insbesondere, wiederentdeckt zu werden. Im großen Archiv der pohlnischen Capelle schlummern noch so einige Schätze, die auf ihre Erschließung warten. Gemeinsam mit Musikwissenschaftlern erforschen wir die zahlreichen Quellen und entwickeln Programme für die nächsten Jahre. Freuen Sie sich also auf unsere abwechslungsreichen Konzerte und viele andere Veranstaltungen! Denn neben der Wiederaufführung des experimentellen und die Stile Europas verschmelzenden Repertoires fokussiert das Kooperationsprojekt auf die gesellschaftliche Kontextualisierung der Musik. In Kooperation mit Stiftungen, Bildungseinrichtungen und Netzwerken wird ein Forschungs- und Kulturprogramm über mehrere Jahre hinweg aufgebaut.
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